Das große Krebskiller-Interview (Teil 1)

Teil 1

Hier kommt der erste Teil des bereits angekündigten Interviews. Viel Spaß beim Lesen!

Julia, du hast am 24. August 2015 die Horrordiagnose Brustkrebs erhalten. Herzlichen Dank, dass du bereit bist, dich heute, zwölf Monate später, einem Interview zu stellen. Die erste Frage ist mir ein persönliches Bedürfnis:

Wie würdest du jemandem, der deinen Blog (noch) nicht vollständig gelesen hat, kurz beschreiben, wie es dir heute, ein Jahr nach der Diagnose, geht?

Herzlichen Dank für die Einladung zu diesem Interview!

Hinter mir liegt eine schwere Zeit. Die Chemotherapie und die Bestrahlungen waren sehr anstrengend für mich. Eigentlich bin da sehr gut durchgekommen. Ich leide immer noch unter zwar wenigen, aber für mich sehr belastenden Nebenwirkungen, die meine Lebensqualität beeinträchtigen.

Meine Haare auf dem Kopf wachsen seit ein paar Monaten gar nicht mehr. Das belastet mich sehr, da ich bei jedem Blick in den Spiegel diese von der Chemotherapie geplagte Frau erblicke. Abgesehen davon, gefalle ich mir mit den kaum mehr als 25 Millimeter kurzen Haaren überhaupt nicht. Ich fühle mich nicht wohl damit, das bin nicht ich. Deshalb gehe ich grundsätzlich nur mit einer Perücke außer Haus.

Am schlimmsten sind die Gefühlsstörungen in den Fingern. Da ich als Anästhesistin mit viel Gefühl in den Händen arbeiten muss, ist das für mich eine kleine Katastrophe. Wenn ich blind eine unebene Oberfläche ertaste, ist es für mich noch nicht möglich zu erkennen, was es ist. Mit den Füßen ist es ähnlich. Die Schmerzen in den Zehen nehmen bei langem Stehen oder Laufen schnell zu.

Und die Hitzewellen! Sie sind für Patientinnen mit einem Mammakarzinom ein Thema ohne Ende. Sie erwischen mich eiskalt von einem Moment zum anderen - spontan und unvorhersehbar. Ich bekomme einen roten Kopf und der Schweiß rinnt mir über das Gesicht. Besonders unangenehm ist das, wenn ich nicht alleine bin. Sie plagen mich auch nachts. Dann schlafe ich schlecht und auch nur wenig.

Naja, meine Psyche schwankt auch noch etwas. Mal ist alles okay und dann bin ich wieder tagelang in einem Tief und nur mit mir und meiner Krankheit beschäftigt.

Insgesamt will ich mich aber nicht beklagen. Wenn das der Preis für mein Überleben und für viele schöne Jahre ist, die hoffentlich noch vor mir liegen, dann ist das okay.

Ist der erste "Jahrestag" deiner Diagnose für dich ein Grund zum Feiern oder doch eher ein Grund zum Heulen?

Der 24. August ist für mich eigentlich kein besonderer Tag. Klar, vor einem Jahr bekam ich die Diagnose und mein Leben hat sich von einem Moment zum anderen geändert. Trotzdem muss ich an diesem Tag weder feiern noch heulen. Vielleicht denke ich an diesen Tag zurück und ziehe ein Resümee der letzten 12 Monate. Wahrscheinlich habe ich damals nicht angenommen, dass es mir heute wieder so gut geht.

Auf deiner Internetseite ist zu erkennen, dass du mit deinem Blog sehr schnell nach der Diagnose begonnen hast.

Was war dafür deine Motivation?

Dafür gab es mehrere Gründe. Ich bin eine Vielleserin und wollte auch schon immer gern mal etwas schreiben. Aber ich hatte weder die Zeit noch eine gute Idee dafür. Es gibt ja schon genügend gute und schlechte Bücher, bestimmt wartet niemand auf eines von mir. Jetzt konnte ich aber endlich etwas schreiben, was in gewisser Weise einmalig ist, weil es mich persönlich betrifft.

Ich wollte auch unbedingt meine Erfahrungen mit anderen Betroffenen und deren Angehörigen teilen - in der Hoffnung, dass ich ihnen damit ein bisschen helfen kann. Der dritte Grund war schließlich, dass ich auf diese Weise meine Freunde und Kollegen auf dem Laufenden halten und mich im persönlichen Gespräch mit ihnen auf schönere Dinge konzentrieren konnte. Das alles hat wunderbar geklappt.

Schon bei den ersten Einträgen habe ich gemerkt, dass mir das Schreiben persönlich sehr hilft, es wurde auch für mich eine Art Therapie und ich musste mich mit vielen Dingen ausführlich auseinandersetzten - ob ich es wollte oder nicht.

Dabei kam nun ein wunderbares Tagebuch für mich heraus. Ich habe etwas, woran ich mich festhalten, womit ich jederzeit meine Erlebnisse nachvollziehen kann, die guten und die schlechten. Das ist für mich ein positives Nebenprodukt meines Blogs.

Eine sehr indiskrete Frage: Wieviel verdient man mit dem Betreiben einer solchen Internetseite und wofür verwendest du die Einnahmen?

Ich verdiene gar nichts damit. Meine Seite ist werbefrei und Sponsoren haben mich auch noch nicht entdeckt. Es ist also eine freiwillige Tätigkeit, die sehr viel freie Zeit erfordert, aber auch großen Spaß macht.

Inzwischen ist deine Leserschaft deutlich gewachsen. Deine Leser sind naturgemäß überwiegend weiblich und besuchen deine Seite mehrheitlich häufiger als nur einmal. Etwa ein Achtel von ihnen stammt sogar aus nicht deutschsprachigen Ländern, wie Russland, den USA, Großbritannien, Frankreich, China, Japan und Brasilien, aus insgesamt 76 Ländern aller Kontinente. Beeindruckend! Nur die allerwenigsten von ihnen kennst du auch persönlich. Einige von ihnen schreiben dir hin und wieder über dein Kontaktformular.

Was bedeutet dir das und schaffst du es noch, alle Mails zu beantworten?

Ich freue mich immer sehr und finde es toll, wenn ich Zuschriften bekomme. Dann weiß ich, mein Blog wird wirklich gelesen. Ich habe bis jetzt nur deutschsprachige Mails aus deutschsprachigen Ländern erhalten. Ich beantworte sie alle. Das ist mir wichtig, denn oft haben die Leser viele Fragen und die möchte ich ihnen beantworten so gut ich kann.

Daraus haben sich sogar ein paar engere Kontakte und Freundschaften entwickelt. Wir haben dann das Gefühl, nicht allein zu sein. Wir können sehr offen und ehrlich miteinander reden und lassen unseren Gefühlen freien Lauf. Das tut uns gut. Damit hatte ich nicht unbedingt gerechnet und ich finde es super. Der Blog hilft also anderen Betroffenen genauso wie mir selbst.

Was sind die häufigsten Themen, mit denen sich andere Betroffene oder deren Angehörige an dich wenden?

Da gibt es einen klaren Trend. Ängste stehen an erster Stelle, besonders die Angst davor, wie das Leben weitergehen soll. Es sind die essenziellen Fragen, so wie bei mir, als ich meine Diagnose erhielt, die völlige Hilflosigkeit und Ratlosigkeit. Es gibt aber auch Fragen zum Alltag während der Chemotherapie und sehr viele Fragen zur Perücke: wo bekomme ich eine her, wie pflege ich sie, was sollte ich vermeiden. Auch Fragen zur Ernährung oder zur Hautpflege während der Bestrahlungen werden gestellt.

Du erinnerst dich also noch an den Moment, als dir klar wurde, dass du Brustkrebs hast, an die damit verbundenen Emotionen und an die Fragen, die sich dir damals stellten?

Ja, daran kann ich mich noch gut erinnern. Solch einen Tag mit so einer niederschmetternden Diagnose vergisst wahrscheinlich niemand.

Plötzlich hatte ich nur noch ANGST! Angst vor einem kurzen, nicht lebenswerten Leben, Angst vor einer harten Therapie, Angst davor, meine Freunde zu verlieren, Angst vor Schmerzen, ...

Ich könnte da unendlich viele Sachen aufzählen. Das Schlimmste war die Angst vor dem Tod. Die Situation bedeutete für mich den kompletten Verlust der Kontrolle über mein Leben. Das kannte ich bis dahin noch nicht. Mich ergriff grenzenlose Panik und ich fühlte mich völlig ratlos. Wie würde ich die Chemotherapie verkraften und die Bestrahlungen? Der Gedanke an den bevorstehenden Haarverlust ließ endlose Tränenströme ausbrechen. Mich quälten Fragen nach der Zukunft. Würde ich je das Leben wieder genießen können, würde ich körperliche Beeinträchtigungen behalten und hat das alles überhaupt einen Sinn …

Die Prognose mit dem triple-negativen Tumor ist nicht die beste. Das ließ mich nie wirklich los - weder am Tag noch in der Nacht.

(Fortsetzung folgt am 31. August)