Mein Hirn und mein Herz werden schon wieder von einem emotionalen Chaos beherrscht. Ich komme einfach nicht zur Ruhe. Keine Chance!
Ab April werde ich (endlich!!!) 40 Prozent arbeiten. Das werden dann ein kompletter und zwei halbe Tage sein. Für mich ist das ein Erfolg. Es bedeutet, dass ich wieder in der Lage sein werde, einen ganzen Tag lang meine Patienten im OP zu betreuen. Ich werde danach wohl mit einem unbeschreiblich schönen Gefühl, aber auch sehr erholungsbedürftig den Saal verlassen.
Mehr geht leider noch nicht. Ich würde ja gern, aber ich muss auch auf meine Ärzte und Therapeuten hören, ihre und auch meine Bedenken ernstnehmen. Schließlich habe ich einen sehr verantwortungsvollen Job, dem ich zu 100 Prozent gerecht werden muss. Arbeiten mit halber Kraft ist da einfach nicht drin!
Die Unzufriedenheit mit meinem bisherigen Arbeitspensum wäre ja schon Problem genug. Zusätzlich quält mich aber auch das ständige Gefühl - ob nun zurecht oder nicht - dass Teile meines beruflichen Umfelds dafür nur mittelmäßiges Verständnis aufbringen.
Hinter meinem Rücken geäußerte Wünsche, ich könnte doch ausgerechnet an den Tagen arbeiten kommen, die ich mir für wichtige therapeutische Maßnahmen freihalte, irritieren mich. Dass da vielleicht jemand hofft, sein eigenes Wochenende um ein paar Stündchen zu verlängern, ist nachvollziehbar, aber das Verständnis für meine besondere Situation hatte ich mir zwischen all meinen medizinischen Kollegen doch ein wenig anders vorgestellt.
Da ist sie wieder: die gutmütige Julia, die im Zweifelsfall fast immer JA sagt, wenn irgendwo Hilfe gebraucht wird. Auf den ersten Blick scheint sie wieder die alte zu sein. Nur zwei Dinge sind ein wenig putzig, aber wohl nicht besorgniserregend: ihre lustige Kurzhaarfrisur und ihre seltsam sparsame Anwesenheit im OP-Saal. Sehen mich einige meiner Kollegen so oder bilde ich mir das nur ein?
Ich bin hin- und hergerissen zwischen beruflichen Pflichten und meiner Therapie, zwischen eigenen Ansprüchen und notwendiger Erholung. Auch für mich selbst ist es immer noch neu und ungewohnt, in so starkem Maße auf meine Gesundheit und mein Wohlbefinden achten zu müssen. Andererseits möchte ich aber auch als gleichwertiges Mitglied des Teams arbeiten, meine Kollegen unterstützen und ihnen helfen. Ich will wieder alles geben, halte das aber noch nicht wieder so, wie vor meiner Erkrankung, eine komplette Arbeitswoche durch.
Das belastet mich sehr, ich will mehr, kann aber einfach noch nicht. Damit zu leben ist nicht leicht. Ich muss noch besser lernen, auf mich, meine Gesundheit und meine Genesung zu achten und ich muss lernen, auch einmal selbstbewusst NEIN zu sagen, ohne dabei auch nur den Hauch eines schlechten Gewissens zu haben.
So, und jetzt helfen mir für den Rest des Tages nur noch André, eine Packung Taschentücher und ein weiteres Gläschen ... (naja, ihr wisst schon).