Krebskiller-Interview 2017 (Teil 1)

Krebskiller-Interview 2017 (Teil 1)

Hallo Julia, du stellst dich heute, zum zweiten Jahrestag deiner Brustkrebs-Diagnose, erneut einem ausführlichen Interview. Ich komme dabei gern deiner Bitte nach, all die Fragen deiner Leserinnen und Leser mit einzubeziehen. Viele möchten ganz einfach nur wissen:

Ist dein subjektives Gesundheitsgefühl wieder das gleiche wie vor der Diagnose, fühlst du dich also wieder richtig gesund?

Danke der Nachfrage! Es geht mir sehr gut. Ich gehe wieder arbeiten und bin wieder so leistungsfähig wie vor meiner Erkrankung. Gesund im eigentlichen bin ich aber noch nicht. Ich bin seit zwei Jahren frei von Metastasen oder einem neuen Tumor - mehr nicht.

Du stehst vor mir und strahlst wie der Sonnenschein. Worin unterscheidet sich dein Leben heute von dem - sagen wir - von vor drei Jahren, als du noch dein "altes Leben" hattest?

Ich habe das Gefühl, dass ich in bestimmten Situationen mein Leben noch mehr genieße, beispielsweise wenn ich in einem Café sitze und ein Buch lese, wenn ich fremde Orte entdecke oder wenn ich zusammen mit André einen gemütlichen Abend verbringe. Ich mache mehr Sport als früher und das tut mir sehr gut. Ich kann sagen, ich habe mehr Freude am Leben.

Dein Blog zeigt, dass du deine Therapie mit viel Optimismus und einer gewissen Leichtigkeit überstanden hast.

Falls dieser Eindruck überhaupt richtig ist, was gab dir dafür die Kraft?

Im Nachhinein sieht es tatsächlich so aus, als hätte ich alles mit einer gewissen Leichtigkeit gemeistert. Aber ich denke, es war nicht so. Wenn ich die Einträge während der Zeit meiner Chemotherapie noch einmal lese, sehe ich, dass es eine anstrengende Zeit war, in der ich manchmal fast den Mut verloren hatte. Immer wenn es mir besser ging, kam auch das Leben im mir zurück.

Ich denke, man wächst einfach in dieses neue unbekannte Leben hinein. Es blieb mir eigentlich keine andere Wahl, als alles gut zu überstehen und mir nebenbei ein paar Dinge zu gönnen, die mir Spaß machen: Schwimmen, Lesen, Kino, DVDs. Das alles hat mir die Zeit verkürzt und über schwere Stunden geholfen.

Für mich besonders wichtig war André. Er hat mich, meine Stimmungsschwankungen und meinen manchmal eher erschreckenden Anblick ertragen und hat immer versucht, mir das Leben so angenehm wie nur irgend möglich zu gestalten. Das war toll!

Alle meine Freunde waren immer für mich da und ich habe gemeinsam mit ihnen viele Stunden genossen und daraus Lebenslust und Energie gezogen.

Letztlich aber muss jeder in so einer Situation für sich einen Weg finden, um die Therapie zu überstehen. Egal wie viel Hilfe man bekommt, der eigene Körper und die eigene Seele müssen diese harte Therapie ertragen. Und das ist weder leicht noch einfach, also definitiv nichts für Weicheier!

Gleich nach deiner Diagnose hattest du begonnen, täglich dein Wohlbefinden mit einer Punktzahl zu beurteilen. Vor einem Jahr hast du das wieder beendet, weil es monatelang nach den Bestrahlungen kaum mehr Veränderungen gab. Der Wert lag fast immer bei 6. Das bedeutete, dass es dir "eher gut" ging oder du dich "wie nach einem harten Arbeitstag" fühltest.

Bist du immer noch die konstante Dauersechserin?

Die ersten langen Arbeitstage waren sehr kräftezehrend für mich. Mit dem Frühling kamen nicht nur die Sonne und die Wärme, sondern auch meine Kräfte zurück. Spätestens ab Mai ging es mir sprunghaft besser und ich hätte mir da gern sehr oft sieben Punkte gegeben ["gut: Nicht schlecht, aber es könnte mir auch besser gehen."]. Seit circa acht Wochen geht es mir super. Natürlich bin ich nach einem harten Arbeitstag auch mal müde und kaputt, aber wem geht das nicht so. Jetzt bin ich also eher eine Acht ["sehr gut: Ich fühle mich (mit kleinen Einschränkungen) fit."] oder Neun ["ausgezeichnet: Besser könnte es mir wirklich nicht gehen."]. An manchen Tagen habe ich noch einen kleinen Hänger, an meinen freien Tagen bin ich aber sehr aktiv und benötige keine Ruhepausen mehr. Insgesamt geht es mir vielleicht sogar schon besser als in den letzten Wochen vor meiner Erkrankung. Das ist nicht zuletzt auf neue Aufgaben in meinem Job zurückzuführen, die unmittelbar vor mir liegen und auf die ich mich sehr freue.

Übrigens: heute gebe ich mir glatte ...

... neun Punkte!

Mit deinem Blog willst du anderen Brustkrebspatientinnen und deren Angehörigen Mut machen. Da liegt der Verdacht nahe, dass du hin und wieder negative Aspekte der Krankheit ein wenig beschönigst oder sogar ganz verheimlichst.

Möchtest du uns gern etwas beichten?

Ich habe nichts zu beichten. Ich war immer ehrlich in meinem Blog und habe auch alle Mails meiner Leserinnen und Leser ehrlich beantwortet.

Du arbeitest jetzt wieder mit einem Pensum von 100 %. Offensichtlich beurteilt dich deine Onkologin zwei Jahre nach der Diagnose wieder als voll leistungsfähig. Manche Frauen schaffen das sogar schneller, andere vielleicht auch gar nicht.

Hast du gute Tipps oder wertvolle Erfahrungen, die du mit anderen Betroffenen teilen möchtest?

Das ist schwierig! Vielleicht hatte ich auch nur Glück, dass es mir wieder so gut geht. Ich habe immer auf meinen Körper gehört und wenn das Arbeitspensum zu viel wurde, habe ich einfach einen Gang nach unten geschaltet. Insofern war es sicher sehr gut, dass ich mein Pensum nur ganz langsam gesteigert habe. Jetzt zahlt sich das aus.

Am 9. Juli war in deinem Blog zu lesen: "Ich habe das fast Unmögliche geschafft und arbeite bald wieder in meinem Beruf ohne irgendwelche Einschränkungen."

Was bedeuten dir deine 100 %?

Ich bin sehr stolz darauf, dass ich wieder zu 100 % arbeitsfähig bin. Das viele Stehen und Laufen in meinem Job war im Winter für mich noch sehr anstrengend. Nur langsam kam ich von meinen anfänglichen 20 % weg, da gab es für mich kaum Luft nach oben. Damals war ich schon am Mittag eines Arbeitstages total ausgepowert. Im Frühjahr ging es dann in kleinen Schritten vorwärts. Ich musste mich wieder an lange Arbeitstage gewöhnen. Das war vor allem eine physische Herausforderung. Es war nicht immer ganz einfach, aber da mir meine Arbeit Spaß macht und ich unbedingt wieder voll dabei sein wollte, habe ich es geschafft.

(Fortsetzung folgt am 31. August)